Interview im Mannheimer Morgen vom 15.10.2022
Alexander Klein hat dem Bösen in den vergangenen 25 Jahren oft ins Gesicht geblickt. Er gehört zu den bekanntesten Strafverteidigern der Region und hat in vielen spektakulären Fällen die Verteidigung übernommen – etwa im Frankenthaler Babymord-Prozess oder im Verfahren um den Tankstellenmord von Idar-Oberstein. Erst in der vergangenen Woche schlug einer von Kleins Fällen hohe Wellen. Sein Mandant wurde wegen Verfahrensverzögerungen vorzeitig aus der U-Haft entlassen, obwohl er kurz zuvor wegen Mordes, Vergewaltigung mit Todesfolge und sexuellen Missbrauchs zu zehn Jahren Jugendstrafe verurteilt worden war. Ein Gespräch über den aktuellen Fall, seine Liebe zum Beruf – und darüber, wie er den Job aushält.
Herr Klein, Ihr Name taucht immer wieder in Verbindung mit Prozessen auf, in denen Fälle aufgearbeitet werden, die bundesweit für Entsetzen sorgen. Warum?
Alexander Klein: Was soll ich darauf antworten? (lacht)
Wie kommen Sie zu diesen Fällen?
Klein: Die Mandanten wenden sich an mich, oftmals aus den Haftanstalten, in denen sie entsprechende Empfehlungen von Rechtsanwälten bekommen. Sie fragen dann an, ob ich bereit bin, auch vermeintlich aussichtslose Sachen zu übernehmen.
Und warum sagen Sie zu?
Klein: Meine Liebe zum Beruf ist ja offensichtlich, und sie ist mir fast schon in die Wiege gelegt worden, durch meinen Vater, der auch Rechtsanwalt war. Am spannendsten waren am Mittagstisch immer die Strafrechtsfälle. Deswegen wusste ich schon sehr lange, dass ich Strafverteidiger werden will. Der Kampf für den Rechtsstaat hält mich auch immer weiter dabei. Die Fälle aus den vergangenen Jahren, die Sie ansprechen, waren ausnahmslos Pflichtverteidigungen, bei denen die Angeklagten sich keinen Verteidiger leisten konnten.
Warum haben Sie diese übernommen?
Klein: Da spielt ein gewisser Idealismus meinerseits mit hinein. Weil es mich in Strafverfahren sehr umtreibt, dass wir auch eine große Ungerechtigkeit haben – mit Blick auf die Wahl des Anwalts und die Höhe der Sanktionen. Zwischen gut betuchten und gesellschaftlich gut gestellten Angeklagten und den Fällen, in denen ich mich oft engagiere. Das sind häufig Beschuldigte, die die Gesellschaft in gewisser Weise verloren hat. Das ist 2019 so gewesen und auch im aktuellen Verfahren zur Tat am Willersinnweiher. (Anm. der Redaktion: 2019 fiel das Urteil im sogenannten Babymord-Prozess. Alexander Klein verteidigte einen Mann, der seine kleine Tochter vom Balkon geworfen hatte. Das Baby überlebte den Sturz aus sieben Metern Höhe nicht. Der Mann wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt.)
Dass Menschen in unserer Gesellschaft an ihren Rand gedrängt werden, ist sicherlich richtig und dramatisch. Und ein gesamtgesellschaftliches Problem. Aber wieso sollte man Leute vor dem Gefängnis bewahren, die offensichtlich schuldig sind?
Klein: Zunächst einmal gilt es, die Verurteilung Unschuldiger zu verhindern. Das passiert immer wieder, und ich glaube, es ist viel schlimmer, einen Unschuldigen ins Gefängnis zu schicken als einen Schuldigen nicht verurteilen zu können. Der andere Grund liegt im Strafvollzug selbst. Die Aufgabe des Staates ist es ja, für einen Strafvollzug zu sorgen, in dem auch eine Resozialisierung stattfinden kann. Aber das ist leider nicht die Wirklichkeit.
Sondern?
Klein: Es werden zu wenig Mittel bereitgestellt, und so haben wir es vielmehr mit einem „Verwahr“-Vollzug zu tun. Wir sprechen über eine Unterbringung, die auch dazu führen kann, dass Straftäter, die zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden, eher rückfällig werden, als wenn sie den Strafvollzug nicht erlebt hätten. Weil sie stärker entsozialisiert werden, durch die Subkultur im Vollzug. Dann muss man als Verteidiger natürlich auch schauen, ob man Alternativen zur Haft finden kann, beispielsweise in Form von Bewährungsauflagen oder Therapien.
Als Verteidiger versuchen Sie, das Beste für Ihre Mandanten herauszuholen. Das hat in der vergangenen Woche im Fall Zoe zum nächsten großen Knall geführt. Ihr Mandant wurde – trotz Verurteilung – vorzeitig aus der U-Haft entlassen. Das hat viele Menschen wütend gemacht und sie fassungslos zurückgelassen.
Klein: Ich verstehe die Menschen, die sagen, dass das ein unerträglicher Zustand ist. Dem kann ich mich anschließen, aber natürlich aus einer anderen Perspektive. Es ist für keinen Verfahrensbeteiligten zufriedenstellend, wenn Verfahren unerträglich lange geführt werden. Solche Verfahren sind für die Angeklagten und die Opfer gleichermaßen belastend. Und natürlich ist es für ein Opfer und Hinterbliebene belastend, wenn ein Täter frei gelassen werden muss, nachdem er zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Aber es ist ja eine vorläufige Entscheidung, das heißt, dass er die eigentliche Strafe noch antreten muss.
Ihr Mandant befindet sich an einem unbekannten Ort, an dem die Polizei patrouilliert. In den sozialen Netzwerken wird zu Selbstjustiz aufgerufen. Bilder des Mannes und der vollständige Name wurden veröffentlicht. Bereuen Sie die Haftbeschwerde im Nachhinein?
Klein: Zunächst muss man sagen, dass es für den Mandanten allemal besser ist, bei seiner Familie zu sein, anstatt weiter in U-Haft bleiben zu müssen. Und die losgetretene Hetzjagd ist auch nicht unmittelbare Folge der Haftentscheidung, daran haben mehrere Seiten Schuld. Zum einen die Presse, die das Ganze reißerisch dargestellt hat. Und Verfahrensbeteiligte, die entgegen gesetzlicher Regelungen Teile der Ermittlungsakten an die Presse weitergeleitet haben. Natürlich bereue ich die Haftbeschwerde nicht.
Wurden Sie auch angefeindet?
Klein: In geringem Maße. Vereinzelt bekomme ich Anrufe und E-Mail-Zuschriften, die nehme ich zur Kenntnis.
Sie sind seit 25 Jahren Strafverteidiger. Wie hat Sie die Arbeit mit Menschen, die entsetzliche Dinge getan haben, verändert?
Klein: Ich verfüge glücklicherweise über ein Umfeld, dass mir Persönlichkeitsveränderungen sehr gut spiegelt, und ich bin natürlich auch wachsam und beobachte, was der Job letztlich mit mir macht. Unbestritten ist aber, dass die Empathie leidet, das habe ich bei mir festgestellt. Nicht dass ich meine Empathie losgeworden wäre, aber ich lasse Dinge nicht mehr so leicht an mich heran. Das bleibt nicht aus, bei dem Job. Wenn Sie das nicht tun, können Sie ihn nicht mehr ausführen.
Nach dem Tankstellenmord in Idar-Oberstein hat die Mutter des getöteten Mannes ihren Sohn auf der Trauerfeier als lebenslustigen, hilfsbereiten, charismatischen und lustigen jungen Menschen beschrieben. Sie haben den Mann verteidigt, der dem 20-Jährigen in den Kopf geschossen hat. Wie halten Sie das als Familienvater aus?
Klein: Ich habe mir das im Vorfeld angesehen und habe mir die Rede angehört, die sie auf der Trauerfeier gehalten hat und fand das sehr bemerkenswert. Und als der Angeklagte sich während der Verhandlung bei der Mutter entschuldigte und ein Zwiegespräch zwischen den beiden entstand, da war das auch für mich sehr bewegend. Ich reagiere auch emotional auf solche Dinge. Das ändert aber nichts daran, dass ich versuche, meinen Job so gut wie möglich zu machen.
Um jeden Preis?
Klein: Manchmal erscheint eine engagierte Verteidigung vielleicht etwas hart und grobschlächtig. Das ist allerdings der Perspektive geschuldet und dem Umstand, dass man vor Gericht auch mit harten Bandagen gegen die Strafjustiz kämpfen muss. Ansonsten wird man auch keinen Erfolg haben. Für Sentimentalitäten ist da kein Raum.
Haben Sie einmal darüber nachgedacht, häufiger die Nebenkläger in Verfahren zu vertreten – wie im Fall des BASF-Explosionsunglücks?
Klein: Im BASF-Verfahren war das Problem, dass die Staatsanwaltschaft die BASF in ihrer Anklage über alle Maßen in Schutz genommen hat, aus Gründen, die mir nicht bekannt sind. Meine Mandantschaft sah die Schuld eher bei der BASF als bei demjenigen, der dann in diesem völlig unübersichtlichem Rohrgraben eine Fahrlässigkeit begangen hat. Aber meine eigentliche Berufung ist es, Strafverteidiger zu sein. Sie können einen Nebenkläger niemals glücklich machen, ganz egal, welches Ergebnis am Ende steht, denn sein subjektives Strafbedürfnis ist in der Regel ein anderes. Das erlebe ich auf der Gegenseite immer wieder, aber auch wenn ich selbst – was selten vorkommt – einmal eine Nebenklage führe. Der Dankbarkeit eines Freigesprochenen hingegen können Sie sich gewiss sein, ob schuldig oder unschuldig
Vor einem Jahr begann der Prozess gegen einen Mann, der keine Corona-Maske tragen wollte und deshalb in Idar-Oberstein einen Tankstellen-Kassierer erschossen hatte. Verteidigt hat den Mörder der Pfälzer Anwalt Alexander Klein. Uwe Renners und Christoph Hämmelmann haben ihn gefragt, wie sein Mandant heute über das Verbrechen denkt.
Herr Klein, Ihre Kanzlei ist in Ludwigshafen und damit schon ein Stück weg von Idar-Oberstein. Wie ist der Täter auf Sie als Anwalt
gekommen?
Die Polizei hatte nach der Festnahme zunächst einen Pflichtverteidiger verständigt, der auf seiner Homepage mit allen Rechtsgebieten außer Strafrecht wirbt ... Zwei Wochen später habe ich dann einen Brief vom Beschuldigten bekommen. Ich bin ihm wohl im Gefängnis empfohlen worden, das passiert häufig.
Sie verteidigen ja immer wieder Leute, die besoners verstörende Verbrechen begangen haben. Gibt es für Sie Grenzen, wo Sie sagen: Nein, das möchte ich nicht machen?
Dann hätte ich den falschen Beruf. In einem Rechtsstaat differenziere ich nicht, warum Menschen verteidigt werden müssen. Ich sage aber auch: Ich verteidige Täter, keine
Taten.
Sie haben dann den Tankstellenmörder als Mandanten akzeptiert– und sich wahrscheinlich gefragt, was sich auch alle anderen gefragt haben: Wie kam es dazu, dass er so eine unfassbare Tat begangen hat?
Gerade das hatte auch mein besonderes Interesse geweckt: das offenbar grobe Missverhältnis zwischen der Anlass und Tat bei einem Täter, der bis dahin unbescholten und
völlig gewaltfrei gelebt hatte. So eine Gewalttat steht oft am Ende einer Verkettung ungünstiger Umstände, bei der jemand keinen anderen Ausweg mehr sieht für sich. Das muss von außen gar nicht
nachvollziehbar sein.
Und Sie versuchen dann, das für die Richter nachvollziehbar zu machen?
Natürlich ist es immer hilfreich, wenn man Verständnis für das Handeln des Mandanten wecken kann. Das ist auch richtig so, denke ich. Es gibt viele Menschen, die haben es
leicht in unserer Gesellschaft. Und es gibt andere, die haben es verdammt schwer. Bei Gericht werden die Schwachen oft härter bestraft als die Wohlhabenden.
Moment – Sie haben gerade tatsächlich gesagt, dass ärmere Menschen eher härter bestraft werden als Menschen, die gut situiert sind?
Man macht den Beruf des Verteidigers ja auch, weil man ein Gerechtigkeitsgefühl mit sich trägt. Nach all den Jahren vor Gericht muss ich sagen: Diejenigen, die in der
Gesellschaft am Rand stehen, werden tatsächlich härter bestraft. Nehmen wir Steuerhinterziehung, da geht es ja oft um Millionen. Da sind die Strafen verhältnismäßig gering. Und dann nehmen wir
Schwarzfahren mit der Straßenbahn: Eine Mandantin bekam beim vierten Mal keine Bewährung mehr. Das waren zum Schluss in der Summe zwei Jahre Gefängnis.
Kommen wir zurück zu unserem Fall, da ging es ja noch einmal um ganz andere Dimensionen ...
Ja, für einen Mord gibt es ohnehin nur die lebenslange Freiheitsstrafe. Aber für die Frage, ob es wirklich ein Mord war, spielt es eine große Rolle, ob jemand aus
niedrigen Beweggründen gehandelt hat. Und da stellt sich dann schon die Frage: Gibt es einen Anlass, der jemanden in irgendwie in nachvollziehbarer Weise dazu gebracht haben könnte, zum Täter zu
werden?
Wir sind ja froh, dass in unserem Rechtsstaat jeder einen Anwalt bekommt und Sie Ihre Arbeit machen. Aber für Opfer oder deren Angehörige ist das wohl schwer nachzuvollziehen. Werden Sie manchmal angefeindet?
Über die E-Mail-Adresse ist man heute ja leicht erreichbar, die steht auf meiner Homepage. In diesem Fall habe ich eine ganze Reihe von Zuschriften „besorgter Bürger“
bekommen. Die waren völlig entsetzt darüber, wie man denn so jemanden verteidigen kann. Ich verstehe jeden, der subjektiv betroffen ist. Dann sieht man die Welt mit anderen Augen. Das würde mir auch
so gehen, wenn es um meine eigenen Kinder ginge. Aber deshalb kann ja der Rechtsstaat nicht abgeschafft werden. Ich bin froh, dass es die Todesstrafe bei uns nicht gibt. Wie wir heute wissen, sind da
auch viele Urteile an unschuldigen Menschen vollstreckt worden.
Da sind wir uns auch völlig einig, aber die Frage ging ja eher so an Sie persönlich: Wie gehen Sie damit um?
Auch da muss ich sagen: Ich hätte mein Beruf verfehlt, wenn ich damit nicht umgehen könnte. Ich nehme das zur Kenntnis, aber es ist nicht so, dass ich darunter
leide.
Im Prozess um den Tankstellenmord hat das Gericht hat Ihren Mandanten zu lebenslanger Haft verurteilt, aber nicht von „besonderer Schwere der Schuld“ gesprochen – obwohl es auch dafür juristische Gründe gegeben hätte. Damit bleibt ihm die Chance auf vorzeitige Entlassung nach 15 Jahren. Verdankt er die seinem guten Anwalt?
Naja, wir hatten ja sogar auf Totschlag plädiert – weil wir immer mit einer Maximalforderung in den Schlussvortrag gehen. Aber wir wussten natürlich, dass es eher auf
Mord hinausläuft. Wichtig war für uns, dass nicht die besondere Schuldschwere festgestellt wird. Dass es dann auch so kam, ist unter anderem dem Umstand geschuldet, dass der Angeklagte Reue gezeigt
hat. Er hat sich im Gericht bei der Mutter entschuldigt, das waren berührende Szenen. Dass er im Gefängnis einen Suizidversuch begangen hatte, war ja auch Ausdruck seiner
Schuldgefühle.
Bereut er die Tat, weil er jetzt mindestens 15 Jahre im Gefängnis sitzen muss – oder weil er einem Menschen das Leben genommen hat?
Er bedauert, dass er den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen könnte. Vielleicht kommt er nach 15 Jahren mit 65 raus, aber das ist nicht sicher und nur der
frühestmögliche Zeitpunkt. Und wer weiß, wie alt er wird. Er bereut aber auch die Tat selbst. Er sagt: Ich bin da in eine Richtung abgedriftet, in die ich nie wollte. Das war durchaus glaubhaft für
jeden, der den Prozess verfolgt hat.
Wenn so ein Prozess vorbei ist, bleiben Sie in Kontakt mit dem Mandanten?
Ja, ich hab eben erst wieder einen Brief von ihm bekommen. Ich begleite Mandanten noch lange danach. Weil ich weiß, dass es im Gefängnis schwierig ist – auch wenn man
einsichtig ist und und das Urteil letztlich akzeptiert hat. Ich sehe das schon als meine Aufgabe an, auch wenn dann keine Gebühren mehr fällig werden.
Sie haben gesagt: Er sieht ein, dass er sich verrannt hatte. Heißt das, er steht heute anders zur Corona-Politik?
Nein, das ist wäre ja ein Wunder, wenn er jetzt im Gefängnis plötzlich die medizinische Notwendigkeit der Maßnahmen anders beurteilen würde. Er hat dazu halt eine andere
Auffassung. Aber er weiß, dass dies kein Menschenleben wert ist.
Das komplette, knapp einstündige Gespräch der Redakteure Uwe Renners und Christoph Hämmelmann mit dem Rechtsanwalt Alexander Klein können Sie im RHEINPFALZ-Podcast „Alles Böse“ anhören. Der Ludwigshafener Jurist erläutert, wie genau sein späterer Mandant beim Mord vorging. Und er erläutert, woher der 50-Jährige die Waffe hatte, mit der er den jungen Tankstellen-Kassierer nach dem Streit um die Maskenpflicht erschoss.